Rechenstörung (Dyskalkulie) Mädchen, 10 Jahre
DOKUMENTATION für den öffentlichen Träger der Eingliederungshilfe
Therapieplan & Abschlussbericht wg. Einrichtungswechsels (Erstbewilligung)
Sehr geehrte Frau J,
heute möchte ich Ihnen berichten über meine lerntherapeutische Behandlung von S T.
Inzwischen hat S b e i m i r nach dem Wechsel in meine Praxis an 7 TE teilgenommen. Insgesamt aber sind 39 TE erteilt worden.
Ihnen, liebe Frau J, möchte ich für die ausführlichen Informationen danken, die Sie gemeinsam mit Ss Mutter Frau T und S im HPG erarbeitet und aussagekräftig dokumentiert haben.
Ss Mutter Frau T hat mir sachdienliche Hinweise auf Ss schulischen Unterrichtsstoff im Fach Mathematik gegeben, so dass ich die Diagnostik für das symptomspezifische Dyskalkulie-Training gut individualisieren konnte, um S dort abzuholen, wo sie leistungsmäßig steht.
Basierend auf den sowohl förderdiagnostisch als auch mit normierten Testverfahren erhobenen Ergebnissen des Leistungsstandes unserer gemeinsamen o. g. Patientin möchte ich Ihnen heute den notwendigen Dyskalkulie-Therapieverlauf skizzieren.
So durfte ich feststellen, dass S bereits zu Beginn unserer Zusammenarbeit über einige mathematische Basisfunktionen verfügte, wobei aber eine deutliche Konfusion im Stellenwertsystem zu beobachten war und ist.
Ss mathematische V o r l ä u f e r f e r t i g k e i t e n wie das Verständnis für Mengen und Zahlen, die handelnden Fähigkeiten zur Addition (und auch Subtraktion) mit konkreten Objekten, das numerische Vergleichen und die Abfolgen sind inzwischen altersgemäß entwickelt.
Auch den Teilaspekt der Eins-zu-Eins-Zuordnung des Zählprozesses beherrscht S.
Nicht klar ist S aber, dass die Reihenfolge der Zahlen für das bündelnde Rechnen irrelevant ist; hier ist ein Relikt des zählenden Rechnens zu beobachten, das sich mit der Ähnlichkeit zum Ordinalaspekt der Zahl für S verwirrend vermengt.
Das Transkodieren fällt S noch schwer und ist defizitär. So treten gehäuft Stellenwertfehler beim Lesen/Schreiben von Ziffern (salopp mit dem Begriff „Zahlendreher“ verharmlost) in größeren Zahlen auf.
Dieses macht vor allem ein erfolgreiches Kopfrechnen nahezu unmöglich.
Ss Faktenwissen ist unvollständig, was logisch aus der retardierten hirnbiologischen Reifung in den für das Rechnen notwendigen Hirnregionen resultiert. Es musste zwangsweise ein hoher Lernrückstand auftreten, da S in den ersten Schuljahren dem schulischen Lernstoff im Rechnen nicht hatte folgen können.
Die A s y n c h r o n i t ä t zwischen den beeinträchtigten Teilfunktionen und den hochentwickelten ist ausgeprägt. Dieses ist in erster Linie für S selbst sehr schwer zu ertragen.
Zudem besteht wegen der Asynchronität im Besonderen die Problematik, dass S oft überfordert ist, da ihr wegen ihrer Intelligenz bisweilen mehr zugetraut wird, als sie auf Grund der Beeinträchtigung in Teilfunktionen leisten kann.
Die einfache Arithmetik gelingt S inzwischen besser. So haben sich die unreifen Rechenprozeduren und ineffizienten Strategien beim Rechnen verringert.
S schon zu Beginn unserer Zusammenarbeit in der Lage, im zweistelligen Zahlenraum zu addieren, weil sie die Partnerzahlen auswendig kennt und auch die Wichtigkeit dieser Kombinationen für das Rechnen im 10er-System nachzuvollziehen in der Lage ist.
Mit entsprechendem Anschauungsmaterial hat S jetzt auch eine Vorstellung von den Zahlen im Tausenderbereich, so dass wir nun Ss Fertigkeiten auf die Zehntausenderzahlen zu übertragen beginnen, um hier möglichst den Anschluss an den Klassenstoff herzustellen.
Diese nicht mit dem schulischen Curriculum übereinstimmende Reihenfolge, erst den Zahlenraum zu erweitern, ehe wir uns der Subtraktion, Multiplikation und Division kleinerer Zahlen widmen, habe ich in einer ausführlichen und beidseits inspirierenden Beratung mit Ss neuer Mathematiklehrerin Frau K abgestimmt.
Da S in der Lage ist, dem aktuellen Unterrichtsstoff in Mathematik, den Frau K zudem äußerst differenziert individualisiert, im Bereich der schriftlichen Addition zu folgen, haben wir abgesprochen, dass wir in der Therapie einige der mannigfaltigen verschiedenen vorhergehend unterrichteten Algorithmen bei der Nacharbeitung der vergangenen Schuljahre auszulassen. Es ist sinnvoller, S die aktuellen Schreibweisen intensiv näher zu bringen.
Lediglich einzelne Varianten des halbschriftlichen Addierens werde ich mit S späterhin trainieren, weil sie dieses Grundwissen für Plausibilitätsbetrachtungen benötigen wird (schätzen z. B.).
Hierzu können wir als Anschauungsmaterial Geld nehmen, da sich Währungsrechnen in Anbetracht von Ss inzwischen erweiterten Wissensstandes gut eignet.
Ss prozessuales Wissen kann sukzessive aufgebaut werden, damit alle Grundrechenarten erarbeitet sein werden.
S hat kürzlich bei Frau K erfolgreich eine Leistungsüberprüfung im Bereich der Addition absolviert.
Es ist zudem beachtenswert, dass S dedizierte Verständnisfragen zu stellen vermag.
- Fazit
Zusammenfassend hoffe ich deutlich gemacht zu haben, dass S besonders aufgrund ihrer höchstmotivierten Arbeitshaltung auf einem sehr guten Weg ist, es aber noch weitere wichtige mathematische Inhalte wie vor allem die Grundrechenarten und Sachaufgaben zu erarbeiten gilt.
Ich bitte Sie, liebe Frau J deswegen inständig um die Bewilligung einer Fortsetzung der Dyskalkulie-Therapie, sofern dieses im Rahmen Ihrer Vorgaben möglich ist.
Familie T erhält eine Zweitschrift dieses Berichts.
Für Rückfragen stehe ich gerne zur Verfügung.
Ich hoffe, Sie mit diesen Angaben unterstützt zu haben, und verbleibe
mit freundlichem Gruß
Dipl.-Päd. Friederike Ch. Andrés-Moysich
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Therapieplan (Zweitbewilligung)
Sehr geehrte Frau J,
inzwischen hat S an 17 TE der Folgebewilligung teilgenommen.
Heute möchte ich Ihnen ausführlich von meiner weiteren Zusammenarbeit mit S berichten.
Ich beziehe mich auf meinen Vorbericht.
Es ist unumgänglich, dass ich mich unverhohlen gleich zu Beginn der immensen Schwierigkeiten widme, die Ss äußerst ausgeprägte Dyskalkulie mit sich bringen.
Ss Not tritt sogar physisch durch beobachtbaren erhöhten Muskeltonus während des Übens in Erscheinung.
S arbeitet sehr motiviert und angestrengt mit.
Durch die enorme Belastung bewegt sich S beständig an der Grenze der Frustration. Ich finde es beeindruckend, wie beharrlich S sich stetig bemüht, obwohl sich kaum Nachhaltigkeit einstellen mag.
Wir mussten uns nochmals den Therapieinhalten zuwenden, die bereits in der vorherigen Praxis thematisiert worden waren.
Die nachstehenden Ausführungen mögen auf den ersten Blick in krassem Widerspruch zu meinen bisherigen Angaben stehen, was sich aber auflösen lässt:
Es ist schon so, dass S vor Ort in der den Therapieeinheiten (TE) viel versteht und auch anwenden kann, aber dieses ist nicht von nachhaltigem Erfolg gekrönt.
Lediglich das Lesen und Benennen großer Zahlen beherrscht S inzwischen dauerhaft besser, auch wenn sie es aus dem Stand ohne aktualisierte kurzfristige Wiederholung einer Erklärung erledigen soll.
So schrieb ich Ihnen vor einigen Monaten, dass S das 1 x 3 in der TE erarbeitet habe und am Ende der TE die Aufgaben sogar in zufälliger Reihenfolge mündlich lösen konnte. Trotz der täglichen Wiederholung zuhause und auch wiederkehrendes Übens in der Therapie, hat S die Aufgaben weder aus dem Kurzzeitgedächtnis in das mittelfristige Gedächtnis noch denn in das Langzeitgedächtnis transportieren können.
Ebenso ist es um alle Rechenverfahren bestellt, die wir bislang erarbeitet haben, was auch in der Schule beobachtet wird, wie mir Ss Mutter Frau T berichtet hat.
Es ist S nicht möglich, beispielsweise das schriftliche Addieren durchzuführen, ohne kurzfristig vorher eine Anleitung an bis zu drei Beispielaufgaben zu bekommen.
Auch dann reproduziert S den Algorithmus lediglich am Beispiel orientiert, indem sie das Vorgehen aus den Beispielaufgaben überträgt. Die Beispiele dürfen hierbei nicht abgedeckt werden.
Wenn die Zahlen beim Addieren vorher nebeneinanderstehen, kann S die Zahlen nach wie vor nicht stellenwertsortiert untereinander schreiben.
Das Prinzip der Stellenwerttafel ist S nicht auswendig klar.
Zwar kann S größere Zahlen in die Tabelle einsortieren, wenn ich es ihr an einigen Beispielen gezeigt habe, aber sie vergisst die Methode umgehend. Wenn wir am Anfang der TE derartige Aufgaben bearbeiten und uns danach aber etwas Anderem zuwenden, kommt S am Ende der TE wieder hilflos vor den Aufgaben zu sitzen, die sie eine halbe Stunde vorher noch lösen „konnte“.
Dieses alles ist so, wie es ist, obwohl ich immer mit Anschauungsmaterial arbeite, um S auch ein haptisches Erleben zu bieten. Die Erweiterung der Abstraktion auf die ikonische Ebene ist bereits schwierig für S und auch nicht von Nachhaltigkeit belohnt.
Im Fazit lernt S derzeitig jedes Verfahren auswendig, kann es aber nicht speichern, wie wir jüngst an der Multiplikation von 100er bis 10.000er Zahlen leider deutlich beobachten mussten.
Addieren/Subtrahieren und Multiplizieren/Dividieren der 10.000er Zahlen auseinanderzuhalten, ist S völlig unmöglich. Sie weiß nicht, was „die vielen Nullen“ bedeuten und kann somit nicht verstehen, warum man unterschiedlich damit umgehen muss.
Der Division haben wir uns zudem in der Therapie noch nicht zuwenden können.
Als ich nun nochmals weit im Stoff zurückgegangen bin, um den neuropsychologischen Ursachen mit projektiven Verfahren auf den Grund zu gehen, habe ich feststellen müssen, dass in Ss Vorstellung noch immer alle Zahlen wie auf einem Band hintereinander aufgefädelt sind.
Zwar hat S schon bemerkt, dass sie bei der Addition zwei- und mehrstelliger Zahlen die Ziffern „irgendwie“ zusammenrechnen soll, aber das Stellenwertsystem ist ihr auch mit Zehnerstäben und Einerklötzchen nur sehr bedingt klar, auch wenn ich es durch Handlung begleitet in Worte fasse.
Wenn S die Aufgabe 16+3= zerlegend (!) lösen soll, ergibt es 10, da S alle Ziffern addiert (auch dieses durch Weiterzählen -> 17, 18, 19).
Soll S eine Addition ohne vorherigen Hinweis auf die Zerlegung lösen, zählt sie. So kann sie zwar für beispielsweise 34+17= ein richtiges Ergebnis präsentieren, braucht aber natürlich sehr lange dafür (35, 36, 37, 38, 39, 40, 41, 42, 43, 44, 45, 46, 47, 48, 49, 50, 51).
Ich revidiere meinen bisherigen Eindruck, dass S zeitnah die aktuellen Algorithmen des vierten Schuljahres erlernen kann, denn ohne die hier als defizitär beschriebenen numerischen Grundlagen ist ein Verständnis des aktuellen Stoffes unmöglich.
Auch ohne Ss ausgeprägte Gedächtnisschwäche für numerische Inhalte brächte ein Auswendiglernen und mechanisches Anwenden keinen Wissens- und Fertigkeitszuwachs. Das V e r s t e h e n ist notwendig und kann ausschließlich durch fortwährendes H a n d e l n nebst sprachlicher Begleitung durch mich erworben werden. S benötigt also dringend weiterhin umfangreiche handlungsspezifische sprachlich erklärend unterlegte Förderung im zerlegenden Rechnen. Bislang hat sie auch die Aufgaben des zweiten Schuljahres stets zählend gelöst, indem sie beim ersten Summanden beginnend weitergezählt hat.
Ich teile den Eindruck der Lehrerin Frau K, dass es keinen Sinn macht, wenn S alleine vor den alten Arbeitsheften aus dem zweiten Jahrgang sitzt, wie es bei der vorherigen Lehrerin ablief. Denn S. konnte bislang keinerlei Knowhow über das zerlegende Rechnen speichern. Dieses Vorgehen der vorherigen Lehrkraft ist zwar vordergründig differenzierend, aber sinnbefreit.
Noch weniger zielführend ist es, S mit dem vollständigen aktuellen mathematischen Unterrichtsstoff weiterhin zu konfrontieren, denn es ermangelt die Basis. Es war einen Versuch wert, aber seitdem Ss Merkschwäche für mathematische Inhalte so deutlich dekodiert werden konnte, kann das nicht der weiterführende Weg sein.
Es muss am V e r s t ä n d n i s des zerlegenden Rechnens im Zahlenraum bis 20 mit Anschauungsmaterialien gearbeitet werden. Ich gebe S nach den Osterferien solches mit, wie wir es immer wieder in der Therapie benutzen. Ein Wechsel zwischen verschiedenen Materialien ist unbedingt zu vermeiden, da er zwar den Wunsch der Erwachsenen nach Abwechslung erfüllt, aber ein so stark ausgeprägt dyskalkules Kind wie S sträflich verwirrt.
Familie T erhält eine Zweitschrift dieses Berichts.
Für Rückfragen stehe ich gerne zur Verfügung.
Ich hoffe, Sie mit diesen Angaben unterstützt zu haben, und verbleibe
mit freundlichem Gruß
Dipl.-Päd. Friederike Ch. Andrés-Moysich
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Abschlussbericht Zweitbewilligung
Sehr geehrte Frau J,
inzwischen haben wir 35 TE des aktuellen Kontingents verbraucht.
Deswegen möchte ich Ihnen wieder von Ss Entwicklung berichten, wobei ich mich auf meine Vorberichte beziehe.
S hat im Rahmen ihrer Möglichkeiten gute fachliche Fortschritte in Mathematik gemacht.
Aber ich muss nochmals in Erinnerung rufen, dass S von einer ausgeprägten Form der Dyskalkulie betroffen ist, sodass sie in der Grundschule nicht den Anschluss an das schulische Curriculum geschafft hat.
Im Sommer ist S auf die IGS P gewechselt und hat Aufnahme in der Inklusionsklasse gefunden. Da diese Klasse aus nur 18 Schüler/innen besteht und von zwei Klassenlehrer/innen und einer Förderlehrerin unterrichtet wird, ist das für S auch aufgrund ihrer mittelgradigen Aufmerksamkeitsstörung bestimmt von erheblichem Nutzen.
Es hat S in den ersten Wochen des Schuljahres sehr entlastet, dass seitens der Schule wenig Fokus auf das Rechnen gelegt wurde. Das Konzept sah vor, dass die Kinder sich zuerst in Projekten kennen lernen sollten und Kernkompetenzen des zwischenmenschlichen Umgangs sowie des Lernens gefördert wurden.
Ich habe diese Zeit genutzt, um S den Grundschullehrstoff in Mathematik zu vermitteln, den sie in der vierten Klasse nicht aufzunehmen in der Lage gewesen war.
Leider fällt es S auch im therapeutischen Setting sehr schwer, neue Rechenalgorithmen zu erlernen. Wir geraten immer noch oft an Ss Grenzen der Belastbarkeit, so dass sich ihre psychische Anspannung bisweilen trotz ihrer hohen Eigenmotivation in aversiv getöntem Arbeitsverhalten niederschlägt.
S ist so angestrengt, dass sie immer wieder mit Mutlosigkeit zu kämpfen hat.
Dieses müssen wir als massives Warnsignal wahrnehmen und S einen Rahmen schaffen, in dem sie sich ihrem eigenen Tempo gemäß neue Sachverhalte aneignen kann.
Positiv ist hier, dass im schulischen Umgang mit Mathematik bewusst Maß gehalten wird. Inzwischen hat der reguläre Mathematik-Unterricht begonnen, aus dem ersichtlich ist, dass die verantwortlichen Lehrer/innen die Kinder auf dem inhaltlichen Leistungsstand der dritten Klasse abholen, um zu sehen, ob die mathematischen Basiskompetenzen vorhanden sind.
So hatte S neben der Anstrengung in unseren TE, in denen ich ihr die schriftliche Multiplikation und Division zu vermitteln versuche, erfreulicherweise in der Schule gute Erfolgserlebnisse. Dort war es Thema, Hunderterzahlen zu addieren und zu subtrahieren.
Dieses gelingt S inzwischen sehr gut.
Es ist ein großer Fortschritt, denn wie Sie wissen, liebe Frau J, hat S unter einer extremen Merkschwäche für Rechenalgorithmen gelitten.
Dass S sich die schriftliche Addition und Subtraktion über die Sommerferien hatte als Kompetenz erhalten können, ist ein eindeutiges Indiz dafür, dass die Hirnstrukturen reifen.
Trotzdem sehen wir eben die erheblichen Nöte dabei, sich weitere Algorithmen anzueignen, die aus der Grundschulzeit noch fehlen.
S wird in Kürze in der Schule vor die Situation gestellt, dass sie in der Multiplikation und Division noch nicht auf dem Stand der vierten Klasse ist. Das wird problematisch.
So ist S noch unsicher im Umgang mit den Stellenwerten, was ihr bei Erweiterung des Zahlenraums zum Verhängnis werden kann. Auch die Zahlen im Zahlenraum bis zu einer Million kann S nur unter angestrengter Konzentration benennen. Das Schreiben dieser Zahlen nach Diktat bereitet S noch größere Schwierigkeiten.
Sachaufgaben erschließen sich S nur bedingt, da sie zu wenig Übung darin hat, die vorgegebene Alltagssprache den geforderten Rechenoperationen zuzuordnen. Allerdings hilft es S sehr, wenn man die Sachverhalte auf der ikonischen Ebene mit Hilfe von Skizzen darstellt. Das ist ein Kompetenzzuwachs dahingehend, dass S die Handlungs-/Rechenoperation nur noch selten auf der haptischen Ebene vorgeführt bekommen muss.
Zu beobachten war Ss weiterentwickelte Wahrnehmung dieser Fertigkeiten jetzt auch in dem Mathematik-Unterrichtsthema „Diagramme lesen und erstellen“. Das ist sehr erfreulich und für S motivierend, hier am regelhaften Unterrichtsstoff mitgearbeitet zu haben.
Es bleibt abzuwarten, wie die Lehrkräfte mit Ss Wissenslücken aus dem Grundschulcurriculum umgehen werden. Es beruhigt mich aber, dass S ihre Lehrer/innen sehr schätzt, was für ein so sensibles Kind wie S in dieser Gesamtsituation sehr hilfreich ist.
Ein besonderes Augenmerk ist darauf zu halten, wie an der IGS P mit dem Nachteilsausgleich umgegangen wird. Auf Nachfrage von Ss Mutter hin hatte der Schulleiter die Auskunft gegeben, dass es keinen Nachteilsausgleich, sondern Förderpläne gebe.
Ein Förderplan macht natürlich Sinn, aber S hat keinen sonderpädagogischen Förderbedarf. Deswegen muss sie zwar selbstredend entsprechend ihrer Individualität gefördert werden, aber trotzdem als Nachteilsausgleich z. B. eine 1×1-Karte benutzen dürfen bzw. mehr Zeit bei Tests bekommen.
Es wäre fatal, wenn S in der Inklusionsklasse auf dem Niveau der bisherigen Förderschule für lernschwache Schüler/innen unterrichtet und bewertet würde.
Schauen wir in meinen letzten Bericht, sehen wir einen erheblichen Wissenszuwachs. S ist auf einem guten Weg.
Trotzdem habe ich hoffentlich darlegen können, dass S noch therapeutische Unterstützung braucht – sowohl kleinschrittige symptomspezifisch intendierte systematische Übungsbehandlung als auch vor allem psychischen Beistand beim Umgang mit der Dyskalkulie, um die sekundäre Folgeproblematik aufzufangen.
Es wird für S schwierig werden, wenn sie nach den ersten Erfolgen auf der neuen Schule durch den moderaten Einstieg in die Thematik nun bald wieder vor ihren Wissensdefiziten zu stehen kommen wird.
Durch Ss unverschuldeten Therapeutinnenwechsel ist auch Zeit verloren gegangen, weil S sich umstellen musste, was für ein so offenporiges Kind durchaus eine Belastung darstellt.
Deswegen bitte ich Sie, liebe Frau J, im Rahmen Ihrer Vorgaben über einen Folgeantrag positiv zu entscheiden.
Familie T erhält eine Zweitschrift dieses Berichts.
Für Rückfragen stehe ich gerne zur Verfügung.
Ich hoffe, Sie mit diesen Angaben unterstützt zu haben, und verbleibe
mit freundlichem Gruß
Dipl.-Päd. Friederike Ch. Andrés-Moysich
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Therapieplan (Drittbewilligung)
Sehr geehrte Frau J,
heute möchte ich Ihnen mitteilen, wie Ss Dyskalkulie-Therapie fortgesetzt werden soll. Ich danke Ihnen für die zügige Ausstellung der Folgebewilligung.
Ich beziehe mich wieder auf meiner Vorberichte.
Vom aktuellen Kontingent haben wir inzwischen 4 TE verbraucht.
Mit Bezug auf die ausgeprägte Form der Dyskalkulie, von der S betroffen ist, muss ich Ihnen berichten, dass wir in den letzten TE gravierende Rückschritte aufgedeckt haben.
S hat die basalen Grundlagen des Zehnersystems nicht dauerhaft gespeichert. Zwar kann S Mengen dinglich dargestellt abschätzen, aber sie kann diese Mengenvorstellung nicht abrufen, wenn sie lediglich Zahlzeichen präsentiert bekommt.
Die „Ziffern-Blindheit“ ist ein Leitsymptom der Dyskalkulie und gepaart mit Ss Schwierigkeit, die Verküpfung von Mengenbild und Zahlzeichen zu speichern und sich vor ihr geistiges Auge zu rufen.
Dadurch hält sich die Desorientierung im Stellenwertsystem behaarlich, sodass z. B. S die Aufgabe 70-7 mit dem Ergebnis 0 falsch löst.
Als ich sie die Aufgabe mit Montessori-Material habe legen und lösen lassen, war sie überfordert, weil S mit den Zehnerstangen und Einer-Klötzchen nicht die entsprechenden Zahlen verbunden hat.
Wir haben versucht, an die Aufgabe 53-3 zu erinnern. Ich habe erwartet, dass S diese Aufgabe leichter falle, weil sie keinen Zehnerübergang enthält. Aber S war ratlos und betrübt. Als ich die Zahl gelegt habe und S gebeten habe, drei Einer wegzunehmen, fragte mich S, ob ich drei Stangen oder Klötze meine.
S kann sich nicht mehr daran erinnern, dass sie die Aufgaben vor einem Jahr auch in der Schule schon mit Hilfe der rein ikonischen Darstellungen von Zehnern und Einern, also einer höheren Stufe der Abstraktion – hatte lösen können.
Der Zusammenhang zwischen dieser Aufgabe und der schriftlichen Subtraktion ist S nicht mehr klar.
Die Schwierigkeiten rühren daher, dass S keine Mengenvorstellung hat bzw. nicht mehr auf Zahlzeichen zu übertragen weiß (s. oben).
In Ss Vorstellung sind Zahlen immer noch gezählte Schritte, die hintereinander auf einer langen Straße liegen (Zahlenstrahl). S kann zehn Schritte nicht mit zehn Muggelsteinen, Nüssen, Perlen o. ä. gleichsetzen.
Ihre Erfolge mit höheren Zahlen erzielte S bislang nur, weil sie auf Grund ihrer Intelligenz offensichtlich gut darin ist, mechanische Rechenvorgänge auswendig zu lernen. Dieses ist selbstredend nicht von Nachhaltigkeit geprägt (Merkschwäche), so dass sich nun die Defizite erneut offenbaren.
Legt S die Zahl 57 mit Einerklötzchen und Zehnerstäben, zählt sie 5 Stäbe ab und 7 Einerklötzchen. Dass man 10 Einerklötzchen gegen einen Stab tauschen kann und alle Zehnerstäbe bei zweistelligen Zahlen in der ersten Position gezählt werden, ist S nicht mehr eingängig, obwohl wir dieses zusammen so erlernt hatten.
Zählt man aber mit S – simultan auf Papier schreibend – bis zur 60, um ihr zu verdeutlichen, dass immer wieder 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9 und bei der 0 im Einer die Zehnerstelle um eine größer wird, kann S folgen. Stellenwerte Z und E sind ihr trotzdem ein Rätsel (→ auswendig gelernte Zahlenreihe).
Mechanisch kann sich S trotzdem weiterhin im Hunderterfeld orientieren, was aber wertlos ist.
Es ist also unsere Aufgabe, dass S das Zehnersystem durchdringt. Sie muss begreifen, dass man immer 10 bündelt. Bündelung aber ist bei starker Dyskalkulie in der Vorstellung sehr schwierig.
Ich habe mit S eine Rechenmaschine aus Organza-Säckchen und Glassteinen gebaut. Damit konnte S der Addition besser folgen, denn man tauscht nicht zehn Einerklötzchen gegen einen Zehnerstab, sondern befüllt Säckchen, und die Steine sind noch zu sehen. Dass man in der Zehnerstelle die vollen Säckchen und in der Einerstelle die einzelnen Steine durch Ziffern darstellt, konnte S gut verstehen und selbst durchführen.
Wir werden darauf nach den Weihnachtsferien zurückkommen.
Es ist unerlässlich, dass S eine solche Vorstellung dauerhaft abspeichert.
S hat auch die Partnerzahlen, die zusammen 10 ergeben, vergessen.
Ebenso beherrscht S die anderen Zerlegungsaufgaben im Zahlenraum bis 10 nicht mehr, sodass auch bei der schriftlichen Addition und Subtraktion gezählt werden muss.
S ist sehr verunsichert.
Wir müssen die Intermodalität fördern, um S den Bezug von Menge, Zahl und Schreibweise zu verdeutlichen.
Eine Behinderung des Erfassens der Aufgaben durch sprachliche Defizite und/oder unzureichende Alltagserfahrungen stelle ich nicht fest.
Es ist für S sehr belastend, dass sie so viele Zahlenkombinationen auswendig lernen muss. Es fällt ihr massiv schwer, sodass sie mutlos und vermeidend agiert.
Leider bereitet es S sogar im therapeutischen Setting mit hohen haptischen und anschaulichen Vermittlungsanteilen sehr schwer, neue Rechenalgorithmen zu erlernen. Wir geraten immer noch oft an Ss Grenzen der Belastbarkeit, so dass sich ihre psychische Anspannung inzwischen bisweilen trotz ihrer hohen Eigenmotivation in aversiv getöntem Arbeitsverhalten niederschlägt.
Neben dem o. g. Aufbau der Mengenvorstellung, die ein alltagsorientiertes Kopfrechnen ermöglicht, müssen wir die Grundrechenalgorithmen stetig wiederholen, damit S darüber sicher verfügt, denn diese Rechenwege wird sie fortwährend in der Schule benötigen.
S steht jetzt in der Schule vor der Situation, dass sie in der Multiplikation und Division noch nicht auf dem Stand der vierten Klasse ist, das 1×1 kaum auswendig beherrscht. Das ist frustrierend für S und darf nicht in Resignation münden.
Sachaufgaben müssen wir späterhin üben, da sie sich S nur bedingt erschließen kann, weil S zu wenig Übung darin hat, die vorgegebene Alltagssprache den geforderten Rechenoperationen zuzuordnen. Allerdings hilft es S sehr, wenn man die Sachverhalte im Rollenspiel verdeutlicht und/oder auf der ikonischen Ebene mit Hilfe von Skizzen darstellt. Das ist ein Kompetenzzuwachs dahingehend, dass S die Operation nicht mehr immer auf der haptischen Ebene erfahren muss.
Es bleibt abzuwarten, wie die Lehrkräfte mit Ss Wissenslücken aus dem Grundschulcurriculum umgehen werden. Es beruhigt mich aber, dass S ihre Lehrer/innen sehr schätzt, was für ein so sensibles Kind wie S in dieser Gesamtsituation sehr hilfreich ist.
Ein besonderes Augenmerk ist darauf zu halten, wie an der IGS P mit dem Nachteilsausgleich umgegangen wird (s. Vorbericht). Auf Nachfrage von Ss Mutter hin hatte der Schulleiter die Auskunft gegeben, dass es keinen Nachteilsausgleich, sondern Förderpläne gebe.
Ein Förderplan macht natürlich Sinn, aber S hat keinen sonderpädagogischen Förderbedarf. Deswegen muss sie gefördert werden, aber muss trotzdem als Nachteilsausgleich z. B. eine 1×1-Karte benutzen dürfen bzw. mehr Zeit bei Tests bekommen.
Es wäre fatal, wenn S in der Inklusionsklasse auf dem Niveau der bisherigen Förderschule für lernschwache Schüler/innen unterrichtet und bewertet würde.
Ss neurokognitive Gedächtnislücken für mathematische Inhalte sind bedenklich, so dass in der Therapie neben der o. g. Kompetenzerweiterung der behandelte Stoff kontinuierlich wiederholt werden muss.
Familie T erhält eine Zweitschrift dieses Berichts.
Für Rückfragen stehe ich gerne zur Verfügung.
Ich hoffe, Sie mit diesen Angaben unterstützt zu haben, und verbleibe
mit freundlichem Gruß
Dipl.-Päd. Friederike Ch. Andrés-Moysich
Abschlussbericht (Drittbewilligung)
Sehr geehrte Frau J,
heute möchte ich Ihnen wieder von Ss Dyskalkulie-Therapie berichten. Ich beziehe mich wieder auf meine Vorberichte.
Vom aktuellen Kontingent haben wir inzwischen 37 TE verbraucht.
Ss ausgeprägte Form der Dyskalkulie, die u. a. durch die enorme Problematik des fortwährenden Vergessens determiniert ist, macht S immer noch regelmäßig mutlos.
Familie T kann S nur bedingt helfen, sodass es im häuslichen Üben oft zu Tränenausbrüchen kommt, dieses besonders bei der Vorbereitung von Tests.
Es stellt sich zwar mittlerweile so dar, dass S meistens dem schulischen Unterrichtsstoff insoweit folgen kann, dass sie mir ungefähr wiedergeben kann, was aktuell durchgenommen wird, aber S stößt wiederholt an ihre Grenzen, da sie noch immer nicht über das altersspezifische rechnerische und mathematische Grundwissen verfügt.
Dieses kann trotz der Beschulung in einer relativ kleinen Integrationsklasse auf der IGS P nicht vollständig aufgefangen werden, was die Lehrerinnen zu bedenken geben.
Es findet ein guter kollegialer Austausch mit Ss Mathematik-Lehrerin Frau G statt.
Wenn S zeitweilig bei Verständnisproblemen keine Eins-zu-Eins-Betreuung in der Klassensituation bekommen kann, d. h. Fachlehrerin und Förderschulkollegin sich intermittierend natürlich auch den Mitschüler/innen zuwenden, dekompensiert S oft, ist unbändig traurig und zeigt manchmal sogar in ihrer großen Mutlosigkeit aversive Verhaltensmuster.
Diese Problematik tritt in der Therapie nicht mehr auf, da S selbstredend kontinuierlich die Hilfe bekommt, die sie benötigt und auch aktiv sucht. Ihre aversiven in den Vorberichten beschriebenen Tendenzen sind im therapeutischen Setting v o l l s t ä n d i g verschwunden.
Dieser Fortschritt in der Selbststeuerung muss noch in den häuslichen und schulischen Kontext übertragen werden (systemische Sichtweise).
Hier ist insofern ein Fortschritt zu erkennen, als Ss Abneigung gegen Rechnen und Mathematik früher so ausgeprägt war, dass sie sich bisweilen sogar in der Einzeltherapie verweigert hatte.
Nun aber kann ich S im lerntherapeutischen Gespräch gut auffangen, wenn sie unter ihren Selbstzweifeln begraben zu werden droht, sodass wir den weit überwiegenden Anteil der TE für symptomspezifisches Üben nutzen können.
Dadurch konnte S nun die grundlegende Orientierung im dekadischen Positionssystem dauerhaft speichern, sodass sie Einer, Zehner und Hunderter nicht mehr verwechselt.
Aufgrund ihrer Richtungsstörung im Ziffernumgang und ihrer auditiven Kurzspeicherungsschwäche kann sich S aber noch nicht sicher im Zahlenraum bis zu 1.000.000 orientieren, da die Nomenklatur noch zu komplex für sie ist.
Um diese gravierende Zahlbegriffsschwäche, deren Ursache in mangelnder innerer Vorstellungsrepräsentation des vergrößerten Zahlenraums zu finden ist, zu beheben und den Umgang mit Zahlen zu automatisieren, möchte ich um weitere/n Raum und Zeit für S bitten.
Den Anschluss an das Klassengeschehen hat S in Algebra bei weitem noch nicht erreichen können.
Zwangsläufig führt die verbliebene Unsicherheit in der Struktur der ganzen Zahlen gerade zu erheblichen Problemen im altersgemäß geforderten Umgang mit Dezimalzahlen.
Bruchrechnung mit Brüchen aus einstelligen und überschaubaren zweistelligen Ziffern als Grundlage für die Dezimalbruchrechnung hat S zwar durchdrungen, aber wegen ihres massiv beeinträchtigten Arbeitsgedächtnisses ist es ihr nicht möglich, Zusammenhänge wie beispielsweise ¼ = 0,25 auswendig zu speichern.
Dadurch muss S sich diese Aufgaben immer wieder via schriftlicher Division errechnen, wobei sie aber zwangsläufig in Verwirrung gerät, weil sie erstens den Algorithmus der schriftlichen Division noch nicht auswendig beherrscht und das Rechnen mit Kommazahlen per se schwierig ist.
Die schriftliche Division konnte S in der Schule gar nicht verstehen, sodass wir mehrere TE hatten darauf verwenden müssen, um mit Hilfe anschaulichen haptisch erfassbaren Materials die Verständnisprobleme zu beheben.
Währenddessen konnten wir uns nur eingeschränkt der Aufarbeitung der im Therapieplan beschriebenen Lücken widmen.
Einfache Additionsaufgaben im Zahlenbereich bis 100 kann S mit Montessorimaterial jetzt im Kopf lösen, wenn kein Zehnerübergang enthalten ist. Bei Subtraktionsaufgaben gelingt es ihr nicht. Letztere und Additionsaufgaben mit Zehnerübergang sowie größeren Zahlen muss S schriftlich lösen, was immer viel Zeit kostet. Hintergrund ist hier auch, dass S die Partnerzahlen, die zusammen 10 ergeben, immer wieder vergisst, wenn sie sie nicht fortwährend wiederholt.
Zudem steht S in Tests nicht die Möglichkeit der Nutzung anschaulichen Materials zur Verfügung, da dieses viel zu viel Zeit in Anspruch nähme, indem die durch den durchaus gewährte Nachteilsausgleich erweiterte Bearbeitungsszeit nicht hinreichen würde.
In Ss Altersstufe wird aber grundlegendes Kopfrechnen vorausgesetzt. Eine Zeitzugabe von zehn Minuten pro Test als praktizierter Nachteilsausgleich reicht hier nicht hin, zumal weitere fachliche Schwierigkeiten bestehen, die auch zusätzliche Zeit in Anspruch nehmen.
Deswegen sollte S bitte die Möglichkeit gewährt werden, sich in weiteren TE einem Automatisierungstraining unterziehen zu dürfen.
Dadurch soll S lernen, sich das Montessori-Material ikonisch im Kopf vorzustellen, weil der reine Umgang mit Zahlen in Ziffern bei Dyskalkuliker/innen wegen der „Ziffernblindheit“ nicht ohne eine geistige Repräsentanz bildhafter Vorstellungen funktionieren kann.
Hierneben müssen aber die schriftlichen Algorithmen der Grundrechenarten unbedingt fortwährend trainiert werden, damit S diese auf keinen Fall vergisst.
Seit S durch unsere gemeinsame Arbeit im Bereich der ganzen Zahlen weitestgehend stellenwertsicher ist, also die Zehnerbündelung beherrscht, führt sie diese Rechenverfahren nicht mehr rein mechanisch aus, aber gerät trotzdem bedingt durch ihre starke Dyskalkulie nach Phasen wie Geometrie, in denen nicht gerechnet wird, mit den Schreibweisen durcheinander.
Wir brauchen also bitte auch Zeit, um Ss Intermodalität zu fördern.
Ss neurokognitive Gedächtnislücken für mathematische Inhalte sind bedenklich, so dass in der Therapie neben der o. g. Kompetenzerweiterung kontinuierlich wiederholt werden muss.
Dadurch wird es S sukzessive leichter fallen, das 1 x 1 zu behalten. Derzeitig macht es S mutlos, dass sie die Reihen trotz intensiven häuslichen Übens wieder vergisst. Das ist frustrierend für S und darf nicht in Resignation münden.
Sachaufgaben konnten wir uns zu wenig zuwenden.
Der Anspruch an das Verständnis ihrer Komplexität ist inzwischen jahrgangsstufenbedingt weit höher, als S ihm stand halten kann.
Hierfür ursächlich sind:
- mangelnde Einsicht in die Sachstruktur
- eingeschränkter Übertrag der dekodierten sprachlich-syntaktischen Struktur auf den Zusammenhang zwischen realer Handlung und mathematischer Operation
- operative Abstraktionsschwäche
- mangelnde operative Flexibilität
S hat zu wenig Übung darin, die vorgegebene Alltagssprache den geforderten Rechenoperationen zuzuordnen. Zwar hilft es S sehr, wenn man die Sachverhalte auf der ikonischen Ebene mit Hilfe von Skizzen darstellt, aber das ist mit den aktuellen Aufgaben kaum mehr zu leisten.
Auch wird hier deutlich, dass S große Schwierigkeiten im Umgang mit Maßeinheiten wie [g], [kg], [t] u. a. als altersgemäß geforderte Einheiten hat. Der Umgang mit [mg] und anderen Dezimalangaben ist folglich unmöglich.
Mathematische Sachverhalte im Alltag zu durchdringen und die erlernten Rechenverfahren darauf anzuwenden, ist aber eine Basisqualifikation für die selbstbestimmte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.
Gerade ein sensibler Mensch wie S läuft andernfalls große Gefahr, sich im Erwachsenenalter in randständischer Position in der Gesellschaft wiederzufinden.
Im Fazit hoffe ich, Ss Situation hinreichend dahingehend dargelegt zu haben, dass es Ihnen, liebe Frau J, möglich ist, über den durch Familie T für S gestellten Folgeantrag positiv zu befinden.
Familie T erhält eine Zweitschrift dieses Berichts.
Für Rückfragen stehe ich gerne zur Verfügung.
Ich hoffe, Sie mit diesen Angaben unterstützt zu haben, und verbleibe
mit freundlichem Gruß
Dipl.-Päd. Friederike Ch. Andrés-Moysich
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Therapieplan (Viertbewilligung)
Die Therapieinhalte ergeben sich direkt aus dem vorstehenden Abschlussbericht der zweiten Therapiephase.
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Abschlussbericht (Viertbewilligung)
Sehr geehrte Frau L,
mit herzlichem Dank für die gute Zusammenarbeit möchte ich Sie heute wieder wissen lassen, wie sich S im Verlaufe der Lerntherapie entwickelt hat.
Vom aktuellen Kontingent haben wir inzwischen 36 TE verbraucht.
Ss Mutlosigkeit ist durch ihre nun stetig erlebten Erfolgerlebnisse gewichen.
Den durch ihre starke Dyskalkulie bedingten Anforderungen stellt sich S fortwährend mit hoher Motivation.
Im Zuge der Steigerung ihrer Fertigkeiten ist Ss Frustrationstoleranz deutlich gewachsen.
Dem schulischen Unterrichtsstoff kann S nun insoweit folgen, dass ich zu der Einschätzung gekommen bin, dass S fortan nur noch eine intermittierende Unterstützung durch klassische Nachhilfe benötigt.
S hat die Regelhaftigkeit der Multiplikation der Tausender und Zehn-/ Hunderttausender sowie größerer glatter Zahlen mit Hilfe von Anschauungsmaterial durchdrungen und beherrscht nun die nomenklaturbedingten Algorithmen.
Die Auswirkungen ihrer Richtungsstörung im Ziffernumgang und ihrer auditiven Kurzspeicherungsschwäche wirken sich nicht mehr erfolgsverhindernd darauf aus, sich im Zahlenraum bis zu 1.000.000 orientieren.
Der Zusammenahng von Multiplikation und Division ist seitens S verstanden.
S bewegt sich nun auch sicher in der Bruch- und Dezimalbruchrechnung, braucht hier aber eine fortwährende Wiederholung, weil ihr dyskalkuliebedingt noch keine Internalisierung gelungen ist (→ Nachhilfe, häusliches Üben).
Zusammenhänge wie beispielsweise ¼ = 0,25 müssen regelmäßig aufgefrischt werden (→ häusliches Merktraining).
Additions- und Subtraktionsaufgaben im Zahlenbereich bis 100 kann S nun besser im Kopf lösen.
Die Akzeptanz der aber noch stark geminderten Fähigkeit im Kopfrechnen ist gestiegen, obwohl diese Grenzen schwer auszuhalten sind. Aber S ist sehr versiert darin, sich bei entsprechenden Schwierigkeiten der schriftlichen Rechenverfahren zu bedienen.
Die schriftlichen Algorithmen der Grundrechenarten müssen auch nach der Lerntherapie fortwährend trainiert werden, damit S diese auf keinen Fall vergisst, denn durch ihre starke Dyskalkulie läuft S sonst Gefahr, nach Phasen wie Geometrie, in denen wenig gerechnet wird, mit den Schreibweisen durcheinanderzukommen.
Ss neurokognitive Gedächtnislücken für mathematische Inhalte haben sich aber verringert.
Das Verständnis für Sachaufgaben hat sich positiv entwickelt: Steigerung der Einsicht in die Sachstruktur, besserer Übertrag der dekodierten sprachlich-syntaktischen Struktur auf den Zusammenhang zwischen realer Handlung und mathematischer Operation, weiterentwickelte Abstraktionsfähigkeit und erweiterte operative Flexibilität. S bringt Altagssprache und geforderte Rechenoperationen besser zusammen.
Ss Unsicherheiten im Umgang mit [g], [kg], [t] u. a. altersgemäß geforderten Einheiten muss fortwährend wiederholt werden – besonders die Umrechnung und die Vorstellung der Mengen (Alltagsbezug).
Ss Selbstwerterleben hat sich erheblich positiviert, sodass ich sie auf der Basis des vorstehend Dargelegten aus der Lerntherapie entlassen kann.
Ich weise aber der wissenschaftlichen Vollständigkeit wegen darauf hin, dass es selbstredend zu Regressionen kommen kann, die eine Wiederaufnahme der Lerntherapie notwendig machen würden.
Familie T. erhält eine Zweitschrift diesen Berichts.
Für Rückfragen stehe ich gerne zur Verfügung.
Ich hoffe, Sie mit diesen Angaben unterstützt zu haben, und verbleibe
mit freundlichem Gruß
Dipl.-Päd. Friederike Ch. Andrés-Moysich