Kombinierte Störungen schulischer Fertigkeiten, Mädchen, 8 Jahre
DOKUMENTATION für den öffentlichen Träger der Eingliederungshilfe
Therapieplan ( Erstbewilligung)
Sehr geehrte Frau X,
hier möchte ich Ihnen von der Integrativen Lerntherapie unserer gemeinsamen Patientin Y C berichten.
Y hat nach einem kostenfreien ausführlichen Beratungsgespräch ihre Dyskalkulie-und Legasthenie-Therapie in meiner Praxis begonnen und mittlerweile an acht Therapieeinheiten teilgenommen.
Ys Mutter Frau C hat mir sehr detaillierte anamnestische Informationen gegeben, die sich mit den Aussagen decken, die Sie in Ihrer ausführlichen Mitschrift des HPG dokumentiert haben. Deswegen setze ich diese als bekannt voraus.
Darüberhinausgehend müssen Sie aber wissen, dass Y am Ende der zweiten Klasse nicht versetzt wurde. Die ehemalige Lehrerin begründete dieses mit dem etwas lapidaren Hinweis darauf, dass Y weit weniger Stoff beherrsche als ihre Mitschüler/innen. Die Teilleistungsstörungen wurden nicht bedacht.
Dieses ist erst kurz vor den Sommerferien 20xx quasi der Familie C „übergestülpt“ worden. Es wurde im Rahmen des Zurücksetzens nicht Ys Wunsch stattgegeben, in eine Klasse zu kommen, in der sie mehrere Kinder gut kennt, wodurch die emotionale Belastung für Y zusätzlich stieg.
Insgesamt ist eine Rückstufung per se immer ein kritisches Lebensereignis – besonders für ein Grundschulkind. In Ys Fall würde die Entscheidung der Schule vermutlich vor Gericht nicht von Bestand bleiben, weil kein Nachteilsausgleich angewandt worden ist. Somit wurde Y die Wiederholung der zweiten Klasse aufgrund ihrer kombinierten Störungen schulischer Fertigkeiten auferlegt. Dieses aber untersagt das Gesetz.
Ich habe C detailliert über die Rechtslage aufgeklärt, weil sie und Y geradezu voller panischer Angst steckten, dass Y nochmals sitzen bleiben könnte, wenn sie nun nicht umgehend in der Schule den Anschluss behält. Dieses wird sich so aber nicht wieder ereignen, weil Frau C dann gerichtlich vorgehen würde. Das Wissen um die Rechtslage schafft für Y und Frau C eine Basis der Sicherheit, die hilft, die durch empfundene Ohnmacht entstandene große innere Anspannung abzubauen.
Dadurch hatte sich ein dermaßen hoher Druck aufgebaut, dass Mutter und Tochter fortwährend in heftigste Streitereien in der Hausaufgabensituation gerieten.
Es scheint so, dass Y in den ersten beiden Schuljahren auch im Förderunterricht nicht kindgerecht gefördert wurde, denn Y kennt keinerlei Anschauungsmaterial, wie es andernorts an Grundschulen den schwächeren Schüler/innen zur Verfügung gestellt wird (z. B. Einerklötzchen/Zehnerstäbe, Murmelkästen etc.).
Wir haben im therapeutischen Setting bislang vor allem im Gespräch daran gearbeitet, dass Frau C und Y ihre Panik verlieren. Zudem habe ich mich mit Y symptomspezifisch lediglich der Dyskalkulie gewidmet.
Y arbeitet emsig mit und ist schon mutiger geworden.
Die Schwierigkeiten im Mathematikunterricht rühren daher, dass Y keine Mengenvorstellung hat.
In Ys Vorstellung sind Zahlen gezählte Schritte, die hintereinander auf einer langen Straße liegen (Zahlenstrahl).
Y kann zehn Schritte nicht mit zehn Muggelsteinen, Nüssen, Perlen o. ä. gleichsetzen.
Legt Y die Zahl 57 mit Einerklötzchen und Zehnerstäben, zählt sie zwar 5 Stäbe ab und 7 Einerklötzchen, aber dass man 10 Einerklötzchen gegen einen Stab tauschen kann und alle Zehnerstäbe bei zweistelligen Zahlen in der ersten Position geschrieben werden, ist Y nicht eingängig.
Zählt man mit Y simultan auf Papier schreibend bis zur 60, um ihr zu verdeutlichen, dass immer wieder 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9 und bei der 0 im Einer die Zehnerstelle um eine größer wird, ist sie völlig ratlos.
Stellenwerte E und Z sind Y ein einziges Rätsel.
Mechanisch kann sich Y trotzdem im Hunderterfeld orientieren, was aber nutzlos ist.
34 + 15 zählt Y vollständig durch: 35, 36, 37, 38, 39, 40, 41, 42, 43, 44, 45, 46, 47, 49.
Genauso geht Y bei z. B. 26 + 67 vor. Hier ist sie durch ihre Familie lediglich so automatisiert, dass sie die Zahlen vertauscht. Y kennt nämlich das Vertauschungsgesetz der Addition.
Es ist also unsere Aufgabe, dass Y das Zehnersystem durchdringt. Sie muss begreifen, dass man immer 10 bündelt.
Bündelung aber ist bei starker Dyskalkulie in der Vorstellung sehr schwierig.
Ich habe mit Y am Rechenzug (Zehnerwaggons) erklärt, dass immer nur zehn Menschen in einen Waggon passen, aber das war ihr nicht eingängig.
Ich vermute, dass Y durch ihre hohe Intelligenz zu verstehen versucht, warum ausgerechnet zehn Menschen in den Waggon passen sollen bzw. warum 10 zweistellig geschrieben wird. Das dekadische System lässt sich aber damit begründen, dass der Mensch halt zehn Finger hat. Die Autopoeisis (Selbstähnlichkeit) der Welt führt evolutionsbedingt dazu, das sich physische Begegenheiten in abstrakten Modellen wiederholen, zumal dem Menschen durch seine eigene Wahrnehmung Grenzen gesetzt sind. Kindgerecht formuliert hilft das Wissen um diesen Zusammenhang den Dykalkuliker/innen sehr, in der Mathematik gegebenes zu akzeptieren.
Zehn Dinge abzuzählen, zu bündeln und die Bündel in der Zehnerstelle zu zählen, hat Y noch nicht zusammengebracht.
Y kannte aber schon zu Therapiebeginn die „verliebten Zahlen“ (Partnerzahlen), die miteinander paarweise addiert 10 ergeben) auswendig. Das ist sehr selten in dem Alter bei ausgeprägter Dyskalkulie.
Da Y aber die anderen Zerlegungsaufgaben im Zahlenraum bis 10 nicht auswendig konnte, habe ich sie dieses simultan mit Würfelbildern und Zahlenzuordnungen zuhause trainieren lassen.
Nach wenigen Wiederholungen ist Y jetzt sehr stolz und erleichtert, dass sie das kleine 1 + 1 (merke: 1 plus 1) nun auswendig kennt.
Interessanterweise wenig Probleme hat Y bei der Visualisierung von Ziffern als Schriftzeichen.
In Ys gestriger Hausaufgabe konnte sie nun diese kleinen Aufgaben anwenden. Y hat nur einen kleinen Hinweis meinerseits gebraucht, dass 5 + 3 = 8, 15 + 3 = 18, 25 + 3 = 28 etc. eine logische Kette sind, um festzustellen -> O-Ton: „Das ist ja immer dasselbe, fällt mir gerade auf.“
Y hat also nun eine vage Ahnung davon entwickelt, dass Einer- und Zehnerstelle jeweils unabhängig zueinander gezählt werden.
Dieses kann Y aber noch nicht sicher. Es ist auf den o. g. Aufgabentyp beschränkt. So funktioniert es für Y nur, wenn zu einer zweistelligen Zahl eine einstellige Zahl gerechnet wird – selbstredend ohne Zehnerübergang.
24 + 31 zählt Y entweder wie oben erwähnt komplett durch oder sie beginnt zu raten, was man wohl mit den einzelnen Zahlen so machen könnte: 2 + 1 + 6 z. B., wobei 6 hier aus 2 + 4 resultiert.
Zehner zu Zehner und Einer zu Einer ist Y noch nicht klar.
Ich werde Kontakt zu Ys jetziger Lehrerin aufnehmen, damit Y auch in der Schule mit Anschauungsmaterial arbeiten darf. Bislang ist Y insofern mutlos, als sie zwar vieles hier bei mir schon nachvollziehen kann, aber halt immer darauf hinweist, dass sie in der Schule im Kopf rechnen müsse.
Vermutlich/Hoffentlich ist das lediglich ihre schlechte Erfahrung mit der ehemaligen Lehrerin. Diese ist ohne Erklärungen und zudem viel zu schnell vorgegangen.
Y ist so verunsichert, dass sie sich kaum über ihren gewaltigen Lernfortschritt in der Addition zu freuen vermag.
Sofort hat sie mich wieder voller hektischer Anspannung daraufhin gewiesen, dass nun aber doch bald schon das 1 x 1 ( 1 mal 1) folge und sie „das viele Plus“ dabei gar nicht verstehe. Bündelung und Zehnerübergang kann Y wie oben dargestellt noch gar nicht.
Meine Anstrengung zielt sehr in die Richtung, Frau C und Y zu beruhigen. In Anbetracht der langen Zeit ohne Beistand haben sich aber Ängste manifestiert.
Y muss sehr gestärkt werden, damit sie ihre Erfolge wahrnimmt und daran zu glauben lernt, dass sie das Rechnen noch zu beherrschen lernen wird.
Y kennt nicht den Ordinalaspekt der Zahl.
Y ist wie oben im Detail beschrieben nicht stellenwertsicher.
Zehnerzahlen sagt Y mechanisch auf, kann aber z. B. 30 + 60 = 90 als dekadische Analogie zu 3 + 6 = 9 rechnen.
31 + 20 z. B. kann Y nicht rechnen, ohne alles abzuzählen (Stellenwert).
Wir müssen die Intermodalität fördern, um Y den Bezug von Menge, Zahl und Schreibweise zu verdeutlichen.
Eine Behinderung des Erfassens der Aufgaben durch sprachliche Defizite und/oder unzureichende Alltagserfahrungen stelle ich nicht fest.
Die negativen Reaktionen auf ihre Defizite waren für Y bereits durchaus so prägende Frustrationserlebnisse mit der Folge der Beschädigung ihrer Identität in dem Maße, dass ihr Selbstwerterleben im Bereich des Rechnens negativ gefärbt ist.
Durch die Methoden der Psychosynthese soll sich Ys Selbstwirksamkeit erhöhen.
Die Psychosynthese zielt darauf hin, die zerstreuten psychischen Kräfte zu vereinen. Auf dieser Basis wird es möglich, Y zu verdeutlichen, dass die Teilleistungsstörungen nur ein ganz kleiner Teil ihres Selbst sind, und ihren Blick dafür zu öffnen, was sie gut kann.
Konsequent wird Y ein Vorbild mit Anleitungen gegeben, wie mit der Angst vor Fehlern produktiv umgegangen werden kann.
Hierzu wird Kongruenz geschult. Kongruent sind Menschen, die sich mit ihren Gefühlen im Einklang befinden.
Durch positive Verstärkungen werden Ys Fähigkeiten hervorgehoben.
Auf der Basis, sich in ihrer Individualität angenommen zu fühlen, wird Ys Selbstvertrauen verstärkt werden. Allerdings braucht sie hierfür diesen schützenden Rahmen des therapeutischen Settings.
Y soll lernen, dass „sich anstrengen“ zu nichts weiter führt, als angestrengt zu sein, und dass es ineffektiv ist, sich anzustrengen, ohne dabei den Weg vorgezeichnet zu bekommen, wie man zum Erfolg kommen kann.
So wird Y lernen, ihren inneren Druck abbauen, und erlebt ihre Menschenwürde als geachtet.
Ich veranschlage weitere fünf TE zum Aufbau des Mengenverständnisses. Hierzu muss ich eng mit der Lehrerin zusammenarbeiten. Ich hoffe, dass es an der Grundschule W im Rahmen der Inklusion auch Förderlehrer/innen im mobilen Dienst gibt, die sich neben den Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf auch Ys Teilleistungsstörungen widmen werden.
Danach müssen wir uns der Legasthenie zuwenden. Aufgrund der erheblichen Defizite in den mathematischen Grundlagen ist der große Block für das symptomspezifische Mathematik-Training und die psychologische Begleitung unumgänglich (gewesen).
Frau C erhält eine Zweitschrift dieses Berichts.
Ich hoffe, Sie mit diesen Angaben unterstützt zu haben, und verbleibe
mit freundlichem Gruß
Dipl.-Päd. Friederike Ch. Andrés-Moysich
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Abschlussbericht (Erstbewilligung)
Sehr geehrte Frau X,
heute möchte ich Ihnen wieder von der Integrativen Lerntherapie bei kombinierten Störungen schulischer Fertigkeiten unserer gemeinsamen Patientin Y C berichten.
Y hat heute an der 35. Therapieeinheit teilgenommen.
Im Mittelpunkt der Behandlung stand lange Ys Verletztheit darüber, dass sie das zweite Schuljahr hat wiederholen müssen. Y war dadurch mutlos und hatte Angst kontinuierlich zu versagen. Daraus erwuchs eine große Angespanntheit, die darin mündete, dass Y und ihre Mutter lange in Sorge waren, dass Y nochmals wiederholen würde müssen.
Y hat aber dieses kritische Lebensereignis inzwischen gut verarbeitet und sich in ihre neue Klasse integrieren können. Dieses ist für ein so hochsensibles Kind ein sehr aufwendiger Prozess.
Frau C berichtet, dass Y insgesamt weniger ängstlich und selbstständiger geworden sei.
Auch hat die kombinierte Störungen schulischer Fertigkeiten inzwischen ein geringeres Bedrohungspotential für Y und ihre Mutter, stellt aber noch immer eine hohe Belastung für den Familienalltag dar, weil der Übungsbedarf enorm erhöht ist, um dem Schulstoff hinreichend folgen zu können.
Die Hausaufgabensituation ist aber nicht mehr in dem Maße angespannt, dennoch noch nicht stabil.
Bezüglich dieser Thematik erlebe ich weiterhin intermittierend Beratungsbedarf, um helfen zu können, Rezidive zu vermeiden.
Y arbeitet sehr motiviert mit.
Es kommt deutlich seltener vor, dass Y kaum Luft zum Sprechen hat, wenn sie mir etwas zeigt, was sie in der Schule nicht verstanden hat. In den ersten Monaten ist Y in derartigen Situationen fast kollabiert und konnte nur noch atemlos flüstern.
Es ist überwiegend möglich, den schulischen Lernstoff in den Therapieplan einzufügen. Dieses ist auch sehr wichtig, da Y die Grundlagen immer wieder vergisst, die wir hier dann stetig in der Reihenfolge wiederholen, wie sie für die schulischen Erfordernisse notwendig sind. Der zeitliche Rahmen reicht hierfür selbstredend nur sehr bedingt.
+Dyskalkulie +
Y konnte einige ihrer noch im Vorbericht skizzierten Defizite verringern.
Ich habe Ys Mathematiklehrerin zu einem persönlichen Gespräch in der Schule besucht. Diesem wohnte auch die Förderlehrerin bei. Leider war die Deutschlehrerin entgegen der Absprache nicht zugegen.
Hierbei stellte sich heraus, dass Y entgegen ihrer eigenen Angabe (s. Therapieplan) doch mit Anschauungsmaterial in der Schule gearbeitet hatte.
Als ich diesen Widerspruch mit Y auszulösen versucht habe, brachte ich in Erfahrung, dass sich Y erstens an wenig dieses Materials erinnern und zweitens die Ähnlichkeit des schulischen Materials und meines Praxismaterials nicht erkennen konnte, obwohl es sich gleichermaßen um Einerklötzchen und Zehnerstäbe bezogen auf die Gesamtmenge 100 gehandelt hat.
Dieses offenbart zwei für Dyskalkulie typische Lernprobleme: fehlende Anschauungskategorien/Struktur und ständiges Vergessen, welches ich vorstehend bereits erwähnte.
Besonders letztere Problematik besteht bei Y sehr ausgeprägt. Y kann Algorithmen nicht abrufen, wenn sie sich nicht kontinuierlich damit beschäftigt. So hat Y nicht mehr zweistellige Zahlen addieren können, nachdem sie die Multiplikation und Division geübt hatte.
Um das vormals Beherrschte zu reaktivieren, mussten wir an den Zusammenhang von Zahlenreihe und Bündelung mit haptisch erfahrbarem Legematerial zurückgehen.
Die Wiederholung fiel Y sehr schwer, weil sie die Rechenverfahren noch nicht internalisiert und automatisiert hat.
Den Wechsel zwischen den Rechenarten in der Schule empfindet Y als sehr anstrengend. Sie braucht in der Therapie Hilfe dabei, sich an die jeweils anderen Rechenarten zu erinnern, wenn im Unterricht gewechselt wird.
Y steht dann immer noch am Rande der Mutlosigkeit.
Wir haben im therapeutischen Setting im Gespräch nun daran gearbeitet, dieses dyskalkulie-immanente Vergessen akzeptieren und aushalten zu lernen.
Selbstredend ist es nicht zielführend, sich der Gedächtnisschwäche fatalistisch gegenüber zu verhalten, ohne dass die Gedächtnisleistung weiterhin trainiert wird. Aber ein unaufgeregter Umgang mit der Problematik ist unerlässlich für Fortschritte: Lernen ist Emotion, und Angst blockiert.
Frau C und Y brauchen hierbei noch Unterstützung.
Y arbeitet vor Klassenarbeiten so emsig, dass sie sogar freiwillig auf ihre kurze Spielzeit am Ende der TE verzichtet.
Mengen kann Y sich ohne haptisch Erfahrbares oder Darstellungen auf ikonischer Ebene noch immer nicht sicher vorstellen. Dieses trainieren wir fortwährend, damit Y sich im Stellenwertsystem orientieren können wird, wenn im kommenden Schuljahr der Zahlenraum erweitert wird.
Dafür brauchen wir noch mehr Zeit bitte.
Von der falschen Vorstellung, dass Zahlen gezählte Schritte seien, die hintereinander auf einer langen Straße liegen (Zahlwortkette), hat Y sich gelöst, so dass sie nun zehn Schritte mit zehn Muggelsteinen, Nüssen, Perlen o. ä. gleichsetzen kann.
Das Material aus Einerklötzchen, Zehnerstäben und Hunderterplatte bzw. den Rechenzug mit seinen Zehnerwaggons kann Y noch immer nur eingeschränkt erfassen und anwenden.
Y hat aber das Zehnersystem schon besser im Griff, wenn sie Glassteine zu zehnt in Organzasäckchen packt, weil die Steine dann auch im Zehnerbündel noch zu sehen sind.
Das Austauschen von zehn Einerklötzchen in eine Zehnerstange kann Y auch dann noch nicht nachvollziehen, wenn man parallel in eine Stellenwerttabelle Einer (E) und Zehner (Z) schreibt. Mit den Glassteinen funktioniert es, weil die Steine nicht getauscht werden, also sichtbar bleiben. Hier reicht Ys Abstraktionsvermögen noch nicht aus.
Dieses muss aber dringend gefördert werden, damit Y im kommenden dritten Schuljahr mit den Hunderterzahlen zu agieren lernen kann.
Zehner zu Zehner und Einer zu Einer muss Y jedes Mal neu verdeutlicht werden, wenn wir zwischendurch z. B. mit Geld gerechnet oder multipliziert haben.
Wie schon erwähnt zeigt Ys Dyskalkulie als ein zentrales Symptom das Vergessen, neben der Desorganisation in der Anschauungsfähigkeit.
Den Zusammenhang von Addition und Multiplikation hat Y inzwischen durchdrungen.
Y ist bei Divisionsaufgaben nicht mehr so panisch, weil ihr eingängig geworden ist, dass man aus 5 x 3 = 15 auch z. B. zu 15 : 3 = 5 umstellen kann. Aber auch dieses vergisst sie zwischendurch immer wieder.
Y muss auch weiterhin sehr gestärkt werden, damit sie ihre Erfolge wahrnimmt und daran zu glauben lernt, dass sie das Rechnen noch zu beherrschen lernen wird.
Y ist nur nach Anleitung stellenwertsicher (s. o. – das Vergessen).
Die Intermodalität muss noch gefördert werden.
+ Legasthenie +
Der Rechtschreibförderung haben wir uns mittlerweile in sieben TE zugewandt.
Y kann sinnentnehmend lesen und liest oft freiwillig zuhause.
In der Schule vermeidet es Y laut vorzulesen, muss dieses aber oft, weil sich die Deutschlehrerin nicht an den üblichen Nachteilsausgleich hält, dass legasthene Schüler/innen nur laut lesen müssen, wenn sie sich freiwillig melden.
Die Mitschüler/innen lachen sowohl über Ys Fehler als auch alleine darüber, dass Y eine von Natur aus zarte Stimme hat, und fordern sie flapsig auf lauter zu sprechen.
Da Y Schwierigkeiten hat, sich Lernwörter einzuprägen, hat sie bei mir ein psycholinguistisches Lese- und Rechtschreibtraining begonnen.
Zudem haben wir die jeweils für die Diktate vorgegebenen Lernwörter in der Therapie mit spezifischem Wortbildtraining geübt. Auch zuhause übt Y emsig für die Diktate.
Y ist sehr angestrengt von den vielen Wiederholungen, die sie als Legasthenikerin benötigt, bis sie sich die korrekte Schreibweise eines Wortes eingeprägt hat.
Hinzu treten graphomotorische Schwierigkeiten.
Y hatte Probleme, alle Buchstaben in der Form zu lernen, wie es in der Schule vorgegeben ist. Das Verschleifen ist für Y besonders schwierig.
Deswegen haben wir einzelne Buchstaben geübt.
Von Vorteil für Y ist die Tatsache, dass sie nicht nach der „Schreiben nach Gehör“-Methode unterrichtet wird, sondern von Anbeginn, korrekte Schreibweisen zu üben, vorgegeben bekommt. Dadurch wird die Mühe der mannigfaltigen Extinktion verringert, also das Umlernen zuerst falsch eingeprägter Schreibweisen. Deutsche Rechtschreibung ist nicht lauttreu.
Ich habe mit Y bislang die basalen Fertigkeiten trainiert und ihr Methoden zum Sichern von Lernwörtern näher gebracht.
Neben dem basalen Training zur Verringerung der Speicherschwäche für Wortbilder muss nun das regelgeleitete Rechtschreibtraining beginnen:
- [schp] -> Sp/sp und [scht] -> St/st
- m/n-Differenzierung
- b/p, d/t, g/k im Auslaut: unzureichende Kenntnis der Ableitungsregel bzw. reduzierte Umsetzungsfähigkeit für diese auslautverhärtenden Verschlusslaute
- Unterscheidung Vokal/Konsonant
- lange/kurze Vokale: unzureichende Differenzierung
- Dehnung/Doppelung
- ck/k – tz/z
- e/ä
- Groß-/Kleinschreibung
Diese Fehleranalyse kann sich durch das förderdiagnostische Vorgehen stetig verändern.
Ich habe hoffentlich deutlich machen können, warum ich Sie bitte, liebe Frau X, für Y im Rahmen Ihrer Vorgaben möglichst weitere TE freizugeben.
Frau C erhält eine Zweitschrift dieses Berichts.
Ich hoffe, Sie mit diesen Angaben unterstützt zu haben, und verbleibe
mit freundlichem Gruß
Dipl.-Päd. Friederike Ch. Andrés-Moysich
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Therapieplan (Zweitbewilligung)
Sehr geehrte Frau X,
in der vergangenen Woche hat Y nach der Therapiepause ihre Therapie wieder bei mir aufgenommen.
Es sind jetzt zwei TE des aktuellen Kontingents verbraucht.
Durch einige private Widrigkeiten, denen sich Frau C zu stellen hatte, konnten wir nicht früher beginnen, sodass der vorgegebene Zeitrahmen ggf. nicht einzuhalten ist. Darauf komme ich aber gesondert zurück, falls wir um eine verlängerte Freigabe des Kontingents bitten müssen.
Y hat sich in der Therapiepause gut entwickelt.
Das Verhältnis zwischen Mutter und Tochter ist deutlich entspannter, da Y nachhaltige Lernfortschritte zeigt und dem schulischen Unterricht besser folgen kann.
Die verbliebenen Defizite beschreibe ich nachstehend.
Im Mittelpunkt der Behandlung steht die Konsolidierung des positivierten Selbstwerterlebens, damit Y auch bei Misserfolgen nicht in ihre frühere Mutlosigkeit zurückfällt.
Y arbeitet sehr motiviert mit.
+ Dyskalkulie +
Y stellt bezüglich der Inhalte, die sie im mathematischen Kontext nicht versteht, deutlich dediziertere Nachfragen.
Diese bringt Y inzwischen ruhig vor.
Es ist notwendig, die Grundlagen der Algebra, namentlich die Grundrechenarten zu wiederholen, die Y im Zahlenraum bis 100 im vergangenen Jahr erarbeitet hat, und Y die Struktur des erweiterten Zahlenraums bis 1000 zu verdeutlichen, damit sie ihr Grundwissen auf eben diesen zu übertragen lernt.
Es werden noch Schwierigkeiten im Stellenwertsystem deutlich, wobei aber das Maß der fehlenden Anschauungskategorien und das ständige Vergessen, das ich in meinen Vorberichten u. a. in den Fokus gerückt hatte, rückläufig sind.
Y kann einige Algorithmen abrufen, sodass wir damit beginnen konnten, das in der Schule derzeitig behandelte halbschriftliche Addieren und sogar Subtrahieren im Zahlenraum bis 1.000 zu erarbeiten.
Hierzu muss zuerst der Zusammenhang von Zahlenreihe und Bündelung mit haptisch erfahrbarem Legematerial (Einerklötze, Zehnerstäbe, Hundertertafel und Tausenderwürfel) wiederholt bzw. erweiternd erklärt werden.
Wir haben hierbei wieder im Gespräch daraufhin zu wirken, dass dyskalkulie-immanente Vergessen zu akzeptieren und auszuhalten zu lernen.
Mengen bis 100 kann Y sich ohne haptisch Erfahrbares oder Darstellungen auf ikonischer Ebene sicher vorstellen.
Multiplikations- und Divisionsaufgaben bereiten weiterhin große Schwierigkeiten.
+ Legasthenie +
Ys Schwierigkeiten, sich Lernwörter einzuprägen, ist durch Fortsetzung des psycholinguistischen Lese- und Rechtschreibtrainings zu begegnen.
Es schließt sich ein Wortbildtraining an.
Ys Diktate fallen inzwischen besser aus, wenn sie die Lernwörter vorher intensiv übt. Hier werden die Übungsmechanismen wiederholend aufgezeigt und angewandt.
Y ist aber sehr angestrengt von den vielen Wiederholungen, die sie als Legasthenikerin benötigt, bis sie sich die korrekte Schreibweise eines Wortes eingeprägt hat.
Die basalen Wahrnehmungsfertigkeiten werden trainiert, um die Verarbeitungsgeschwindigkeit und das Arbeitsgedächtnis zu steigern.
Es müssen folgende Rechtschreibregeln erarbeitet werden:
- [schp] -> Sp/sp und [scht] -> St/st
- m/n-Differenzierung
- b/p, d/t, g/k im Auslaut: unzureichende Kenntnis der Ableitungsregel bzw. reduzierte Umsetzungsfähigkeit auf die auslautverhärtenden Verschlusslaute
- Unterscheidung Vokal/Konsonant
- Silbentrennung
- lange/kurze Vokale: unzureichende Differenzierung
- Konsonatendoppelung
- Dehnungs-h
- Doppelvokale
- ck/k – tz/z
- e/ä
- Groß-/Kleinschreibung
Diese Fehleranalyse kann sich durch das förderdiagnostische Vorgehen stetig verändern.
In dieser zweiten Therapiephase wird vermutlich die Legasthenie im Vordergrund stehen, der wir uns während des ersten TE-Kontingents deutlich weniger gewidmet haben als den dyskalkulen Problemen.
Frau C erhält eine Zweitschrift dieses Berichts.
Ich hoffe, Sie mit diesen Angaben unterstützt zu haben, und verbleibe
mit freundlichem Gruß
Dipl.-Päd. Friederike Ch. Andrés-Moysich
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Abschlussbericht (Zweitbewilligung)
Sehr geehrte Frau X,
mit herzlichem Dank für die gute Zusammenarbeit möchte ich Ihnen heute vom Fortgang der o. g. Therapie berichten.
Ich beziehe mich auf Ihre umfangreichen Informationen aus dem Hilfeplan und meiner Vorberichte.
Es sind jetzt 35 TE des aktuellen Kontingents verbraucht.
Y nahm kontinuierlich regelmäßig an der Therapie teil und hat weitere nachhaltige Lernfortschritte erzielt.
Dem schulischen Unterricht kann Y noch besser folgen. Sie besucht eine Grundschule mit enormem Leistungsanspruch.
Dieser verursacht, massive Ängste dahingehend, keinen Schulabschluss erreichen zu können, weil Y selbstredend nicht erfassen kann, dass der Unterricht bereits intensiv aud den Besuch eines Gymnasiums vorbereitet. Differenziert wird seitens der Lehrerschaft nicht.
Diese Grundschule wurde nicht auf der Basis eines etwaigen übersteigerten Leistungsanspruch durch Frau C bewusst ausgewählt, sondern ist die nächstgelegene im Stadtteil.
Unterschiedlich hohe Anforderungen an Grundschulen sind m. E. auf politischer Ebene zu beheben, sodass Y nun nicht die Leidtragende der fragwürdigen herrschenden Verhältnisse werden darf. Verstehen Sie dieses bitte als ersten Hinweis auf meine untenstehend folgende Bitte, noch weitere TE zu bewilligen, um Y den Übertritt auf die weiterführende Schule möglichst zum kommenden Schuljahr zu ermöglichen.
Es gibt Hinweise darauf, dass die Versetzung ohne Lerntherapie schwierig werden könnte.
Y Mutter Frau C ist zwar nicht so besorgt, da ihr bereits bewusst ist, dass Y auf einer IGS oder Oberschule weniger Schwierigkeiten haben wird.
Trotzdem steht Y selbst leider noch massiv unter Druck, da die Schule einen immensen Einfluss im Leben junger Kinder hat.
So wird fortwährend die gerade erst überwundene Leistungsblockade getriggert.
Wir arbeiten im lerntherapeutischen Gespräch viel daran, Y ihre Ängste zu nehmen und auf die realitätsbezogenen Ansprüche der avisierten weiterführenden Schule (IGS) zu verweisen.
Es ist für Y aber schwer vorstellbar, dass die Herausforderungen zukünftig eher abnehmen werden.
Im Mittelpunkt der Behandlung stand ergo die Konsolidierung des positivierten Selbstwerterlebens, damit Y auch bei Misserfolgen nicht in ihre frühere Mutlosigkeit zurückfällt.
Aus o. g. Gründen ist das von außen massiv erschwert.
Y arbeitet durchgängig sehr motiviert mit.
Ich wende mich nun den verbliebenen symptomspezifischen Defiziten zu.
+ Dyskalkulie +
Y stellt bezüglich der Inhalte, die sie im mathematischen Kontext nicht versteht, deutlich dediziertere Nachfragen.
Diese bringt sie meistens ruhig vor. Aber es ist ein Rückschritt bezüglich dieser Entspannung zu bemerken, der durch den in der vierten Klasse nun zunehmenden Druck verursacht ist. Bisweilen ist Y doch wieder sehr in sich gekehrt und mutlos.
Die Grundlagen der Algebra, namentlich die Grundrechenarten, die Y im Zahlenraum bis 100 schon erarbeitet hatte, haben wir fortwährend wiederholt mit dem Erfolg, dass Y Analogien in den erweiterten Zahlenraum bis 10.000 zu übertragen gelernt hat.
Das Grundwissen über das Stellenwertsystem kippt aber immer noch zwischendurch weg, sodass eine Konsolidierung notwendig ist, die im schulischen Kontext nicht geliefert wird.
Y kann grundlegende Algorithmen nicht immer abrufen, wenn zwischenzeitlich ein anderes Thema behandelt wurde.
Das Prinzip des halbschriftlichen Addierens und sogar Subtrahierens hat Y erfasst, aber Probleme mit der eigenständigen Umsetzung sind verblieben.
Der Zusammenhang von Zahlenreihe und Bündelung wurde mit haptisch erfahrbarem Legematerial (Einerklötze, Zehnerstäbe, Hundertertafel und Tausenderwürfel) wiederholt bzw. erweiternd erklärt, sodass Y bei den schriftlichen Rechenverfahren der Addition und Subtraktion auf weniger Schwierigkeiten stößt.
Somit kann Y Additions- und Subtraktionsaufgaben auf dem Papier lösen, hat aber weiterhin große Defizite im Kopfrechnen wegen der Unsicherheit in der halbschriftlichen Vorgehensweise, die dem Kopfrechnen zu Grunde liegt. Das Kopfrechnen ist wegen der dyskalkulen Ziffernblindheit per se höchst problematisch.
Wir müssen hierbei im Gespräch noch gezielter daraufhin zu wirken, dass dyskalkulie-immanente Vergessen zu akzeptieren und auszuhalten zu lernen.
Y kann Mengen bis 10.000 auf ikonischer Ebene erfassen, aber die Nomenklatur bis zur Million ist noch schwierig.
Multiplikations- und Divisionsaufgaben bereiten weiterhin große Schwierigkeiten, weil der schnelle Wechsel von halbschriftlichen zu schriftlichen Rechenverfahren zu Ähnlichkeitshemmungen geführt hat.
Um das zweite Halbjahr der vierten Klasse in Mathematik erfolgreich zu bestehen, braucht Y deswegen noch therapeutische Hilfe mit a n s c h a u l i c h e n Methoden, die im Unterricht nicht bzw. nur rudimentär geliefert werden.
Insbesondere gilt das für den Umgang mit Maß-/Mengeneinheiten sowie das Dekodieren von Sachaufgaben (Zuordnung Sprache → Rechenoperation).
Problematisch ist das schnelle Vorgehen ohne hinreichend Zeit und Raum für Wiederholungen zu lassen. Dieses muss bitte für Y durch eine Verlängerung der Eingliederungshilfe ermöglicht werden.
+ Legasthenie +
Y Schwierigkeiten, sich Lernwörter einzuprägen, haben sich durch die Fortsetzung des psycholinguistischen Lese- und Rechtschreibtrainings merklich verringert.
Sie bekommt regelmäßig Lernwörter durch die vorgegeben, die wir in der Therapie im Wortbildtraining üben. Auch zuhause übt Y emsig, was sehr viel zeit beansprucht, aber inzwischen zum Erfolg führt.
Oft allerdings ist Y doch wieder mutlos, weil es halt sehr anstrengend für sie ist. Da braucht es doch noch regelmäßig etwas Stärkung von außen.
Hieran anschließend fand die Förderung einiger sprachverarbeitender Hirnfunktionen statt, die in ihrem Zusammenspiel eine korrekte Phonem-Graphem-Konvertierung ermöglichen werden.
Ziel ist es im Endeffekt, Y orthographisches Output-Lexikon zu erweitern.
Hierzu müssen die erheblichen Defizite in den Teilfunktionen des Systems der Phonem-Graphem-Konvertierung behoben werden.
Der Ausgangspunkt für diese legasthenieimmanente Schwierigkeit ist in Y Fall vermutlich noch weiter vorne in den Basisfunktionen der Sprachverarbeitung zu suchen – u. a. im phonologischen Input-Gedächtnis.
Somit ist sowohl das Lesen als auch das Rechtschreiben weder auf der segmentalen Route noch auf der hocheffizienten lexikalischen Route als g e s i c h e r t anzusehen, wobei Y aber kontinuierlich messbare Fortschritte erzielt.
Y hat isoliert den phonologischen und orthographische Buffer trainiert.
Hernach wurden beide Funktionen kombiniert, was insofern von Wichtigkeit ist, als dass geübte Leser/innen und Schreiber/innen nicht über die segmentale Route dekodieren und/oder explizit Rechtschreibregeln anwenden, sondern die Wörter als Ganzheiten im phonologischen und orthographischen Output-Gedächtnis gespeichert haben und dort abrufen können. Das Zusammenspiel ist zur Phonem-Graphem-Konvertierung notwendig, aber bei Y zweifach eingeschränkt.
Nach eigener Angabe gelingt es Y noch schlecht, sich beim reinen Abschreiben mehrere Buchstaben in Folge zu merken, sodass sie oft zur Vorlage zurückschauen muss, obwohl ihr das isolierte Segmentieren in Silben inzwischen recht gut gelingt, wenn das Wortmaterial direkt vor ihr liegt und nicht abgedeckt wird..
Hier zeigt sich der defizitäre phonologische und orthographische Buffer (temporäres Arbeitsgedächtnis). Es ist nicht klar, ob das Problem im Input- oder Output-Buffer gründet, was auch generell wissenschaftlich noch nicht erforscht ist.
Die Komplexität des lauten Lesens mit der Notwendigkeit, einen ganzen Satz zu überblicken (wg. der Betonung) und s i m u l t a n die Wörter zu fragmentieren bzw. aus dem Speicher abzurufen, strengt Y sehr an.
Um in altersgemäßem Tempo sinnentnehmend lesen zu können, muss Y unbedingt die notwendigen Teilfunktionen und deren Kombination trainieren.
Wegen ihrer phonologischen Dyslexie ist dieses Lesen auch auf der lexikalischen Route für Y allerdings besonders schwierig. Es muss viel an der phonologischen Bewusstheit gearbeitet werden. Die Einschränkung wurde besonders beim Schreiben von unbekannten lauttreuen Wörtern deutlich.
Weil das lexikalische Gedächtnis (auswendig beherrschte Wörter) noch eingeschränkt ist, ist die Förderung der segmentalen Route sehr wichtig, damit Y in die Lage versetzt wird, unbekannte Wörter schneller zu identifizieren.
Auch die lexikalische Route wird aber durch Ganzworttraining trainiert, damit sich der altersgemäße Wortschatz sukzessive a u t o m a t i s i e r e n lässt.
Zudem beeinträchtigen die Probleme beim Aufbau der segmentalen Route auch die lexikalische Route und umgekehrt.
Bei Y wird augenfällig, dass die phonologische Dyslexie mit Ganzwort-Substitutionen einhergeht. Verwechslungen treten immer noch auf, wenn ähnliche Wörter im Fließtext zu lesen sind, beispielsweise Biene → Beine, Dose → Hose.
Semantische Paralexien und Paragraphien sind aber bei Y nicht zu beobachten.
Y ersetzt manchmal niedrigfrequent auftretende durch hochfrequent auftretende Wörter.
Der Aufbau visuell orthographischer Repräsentationen im orthographischen Lexikon gelingt ihr nicht schnell genug.
Auch sind Y aktivierbare Verbindungen vom orthographischen Lexikon zum semantischen System und zum phonologischen Output-Lexikon noch beeinträchtigt.
Die segmentale Route ist insofern noch beeinträchtigt, als Y noch nicht hinreichend in der Lage ist, orthographisches Regelwissen bzw. das entsprechende Wortwissen schnell und zuverlässig abzurufen. Gespeichert ist dieses Wissen aber teilweise schon im Langzeitgedächtnis (s. o. → Verinnerlichung des Rechtschreibregelwissens, soweit die Themen schon konsolidiert werden konnten).
Y visuell-graphematische Analyse des geschriebenen Wortes ist noch insuffizient, weil die Verbindung dieses Prozesses zum Abrufen im orthographischen Input-Lexikon beeinträchtigt ist.
Somit kommt es – auch durch Defizite des phonologischen Buffers und Funktionsbeeinträchtigung des phonologischen Output-Lexikons – regelmäßig zu Störungen im System der Graphem-Phonem-Konvertierung.
Doch die Auswirkungen solcher Lesefehler auf den Sinn des Gelesenen haben sich schon verringert.
Das Schreiben nach Diktat ist für Y insofern noch sehr anstrengend, als hier Informationen aus dem semantischen System sowie das phonologische u n d orthographische Input-Gedächtnis als Input dienen. Hernach ist noch die Phonem-Graphem-Konvertierung zu bewältigen, die wegen der beschädigten Buffer erschwert ist.
Es ist unerlässlich, weiterhin die o. g. Grundfunktionen zu trainieren, um die Schnelligkeit der schriftsprachlichen Informationsverarbeitung zu steigern und diese zu automatisieren.
Hier münden meine ursachenaufdeckenden Betrachtungen der Sprachverarbeitung in der Zusammenfassung des absolvierten regelgeleiteten Rechtschreibtrainings.
Es ist – wie oben schon erwähnt – Y auf Grund ihrer stark ausgeprägten LRS/Legasthenie trotz ihrer enormen Eigenmotivation noch nicht gelungen, alle im Therapieentwurf genannten Rechtschreibregeln abzuarbeiten.
Y muss noch darin unterstützt werden, ihre kontinuierlich trainierte phonematische Bewusstheit durch strukturierte Anwendung auf die Rechtschreibfindung anzuwenden.
Sehr hilfreich wäre es ergo für Y, die basalen Wahrnehmungsfertigkeiten noch intensiver zu trainieren, um die Verarbeitungsgeschwindigkeit zu steigern. Hierfür brauchen wir bitte zusätzliche Therapiezeit.
Y hat folgende Rechtschreibregeln erarbeitet, die aber noch einer Konsolidierung bedürfen, weil die Anwendung im freien Schreiben noch unzureichend ist. Auch wenn Y ihre eigenen Texte Korrektur liest, gelingt ihr die systematische Anwendung noch nicht.
- [schp] -> Sp/sp und [scht] -> St/st
- m/n-Differenzierung
- b/p, d/t, g/k im Auslaut: unzureichende Kenntnis der Ableitungsregel bzw. reduzierte Umsetzungsfähigkeit
- Unterscheidung Vokal/Konsonant
- Silbentrennung
- lange/kurze Vokale: unzureichende Differenzierung
- Konsonatendopplung
- Dehnungs-h
- Doppelvokale
Noch nicht zuwenden konnten wir uns bislang den folgenden Punkten des bisherigen Therapieplans, da auf die Dyskalkulie-Therapie ein deutlich höherer Anteil des bisherigen Kontingents entfiel, weil es in der weiterführenden Schule keinen Nachteilsausgleich mehr in Mathematik geben wird, wohl aber der Legasthenie Rechnung getragen wird. Diese Unart des niedersächsischen Schulrechts auf der Basis einer wissenschaftlich inkorrekten Begründung habe ich andernorts ausführlich diskutiert und würde den Rahmen diesen Berichts sprengen.
- ck/k – tz/z
- e/ä – eu/äu
- Schreibweise von Tageszeiten
- Groß-/Kleinschreibung
- nominalisierte Verben und Adjektive
- s – ss/ß
- i/ie/ih
- s/z (auditiv)
- v/f/pf
- Vorsilben ver-/vor-/voll-
Y psychisches Gefüge ist allerdings wie oben schon erwähnt weiterhin noch nicht stabil.
Y hat nochmals zum Ausdruck gebracht, dass sie ihrer Einschätzung nach noch nicht ohne meine Hilfe zurechtkomme.
Nun hoffe ich, hinreichend begründet zu haben, warum Y, ihre Mutter und ich gemeinschaftlich zu dem Entschluss gekommen sind, dass es einer Verlängerung der Maßnahme bedarf.
Ich bitte Sie, liebe Frau X, nach Möglichkeit über den durch Y Mutter demnächst gestellten Folgeantrag im Rahmen Ihrer Vorgaben positiv zu befinden.
Frau C erhält eine Zweitschrift diesen Berichts.
Ich hoffe, Sie mit diesen Angaben unterstützt zu haben, und verbleibe
mit freundlichem Gruß
Dipl.-Päd. Friederike Ch. Andrés-Moysich
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Diese Behandlung befindet sich derzeitig in der dritten Therapiephase Der Verlauf wird hier beizeiten angefügt.